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Ein Land der guten Nachbarn

Ansprache beim Epiphanias-Empfang der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers im Kloster Loccum am 6. Januar 2019


Es gilt das gesprochene Wort!


Anreden,

wir leben in Zeiten des Umbruchs, aber erfreulicherweise bleibt manches eben doch beim Alten. Zum Beispiel der Epiphanias-Empfang der Hannoverschen Landeskirche, der Jahr für Jahr eine wahre Pilgerfahrt von Staatskarossen aus ganz Niedersachsen zum Kloster Loccum auslöst. Herzlichen Dank im Namen aller Ihrer Gäste für diese Einladung!

Ebenfalls unverändert ist der Geburtstag des Landesbischofs tags zuvor. Lieber Ralf Meister, es ist wirklich eine schöne Geste, dass wir jedes Jahr hier zusammen mit Ihnen diesen Geburtstag nachfeiern dürfen. Herzlichen Dank für Ihren großartigen Einsatz und alles Gute für das neue Lebensjahr!

Anrede,

dieser Epiphanias-Empfang ist auch in diesem Jahr wieder der eigentliche Start für die Landespolitik bei uns in Niedersachsen. Ich empfinde es als einen echten Glücksfall für unser Land, dass dieser Start in Form einer eher nachdenklichen Zusammenkunft stattfindet. Die große Resonanz auf Ihre Einladung zeigt auch in diesem Jahr wieder, welche große Bedeutung die Evangelische Kirche bei uns in Niedersachsen unverändert hat. Sie gehört zu den allerwichtigsten gesellschaftlichen Stimmen und ich bedanke mich ausdrücklich für die vielfältige Zusammenarbeit und das Vertrauen, die Land und Kirche in Niedersachsen miteinander verbinden. Es ist eine Partnerschaft, die von beiden Seiten intensiv gepflegt wird und die ich mir nicht wegdenken mag. Herzlichen Dank für dieses große Engagement der Evangelischen Kirche überall in unserem Land!

Anrede,

jetzt stehen wir am Anfang des Jahres 2019 und haben Gelegenheit, gute Vorsätze zu fassen. Was mag dieses Jahr bringen?

Eines steht schon jetzt fest: Es wird ein Jahr der Jubiläen werden. Wir erinnern an 100 Jahre Weimarer Reichsverfassung – die erste Demokratie auf deutschem Boden, der wir unter anderem das Frauenwahlrecht, die Tarifautonomie und viele andere Errungenschaften verdanken. Das Grundgesetz wird 70 Jahre alt. In Niedersachsen haben wir die Vorzüge unserer Verfassung von Anfang an genießen dürfen, bei unseren östlichen Nachbarn ist das seit 30 Jahren der Fall. Die Deutsche Einheit ist das dritte große Jubiläum des Jahres 2019.


Anrede,

ich hoffe, es werden mehr sein als Pflichtveranstaltungen, die sich diesen Erinnerungen widmen. Das gilt vor allem auch für den Geburtstag unseres Grundgesetzes. Historiker verweisen darauf, dass es wohl noch niemals seit der Besiedlung unserer norddeutschen Heimat eine so lange Phase gegeben hat, in der Frieden, persönliche und politische Freiheit und wachsender Wohlstand geherrscht haben. Das müssen wir uns alle miteinander immer wieder einmal in Erinnerung rufen. Es ist beileibe keine Selbstverständlichkeit, unter welchen Umständen wir leben können!

In Niedersachsen gibt es viele Beispiele, die diesen Befund bestätigen. Unser Land wächst und verzeichnet inzwischen wieder etwa acht Millionen Einwohner. Die Wirtschaft ist stark und wir freuen uns über einen historischen Beschäftigungsrekord von drei Millionen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen – eine Zahl, die noch vor kurzem undenkbar gewesen wäre. Mit dem gebührenfreien Besuch von Kindertagesstätten ist unser Bildungswesen jetzt fast durchgehend gebührenfrei und dennoch ist unser Landeshaushalt so gesund wie vielleicht noch niemals zuvor.

Ich bin, wie sicher viele von Ihnen, sehr dankbar dafür, unter solchen Umständen leben zu dürfen. Viele Menschen auf unserer Welt würden viel darum geben, von ihrer Heimat dasselbe sagen zu können.

Es gibt aber auch Schattenseiten, über die wir reden müssen. Da ist ein spürbarer Verlust von Vertrauen in die Institutionen des demokratischen Staates und auch die großen zivilgesellschaftlichen Organisationen unseres Landes. Da sind ungelöste Probleme, von der Kinderarmut bis zur Altenpflege, die wir in unserer sehr wohlhabenden Gesellschaft noch nicht gut genug in den Griff bekommen haben. Und da ist, um ein drittes Beispiel zu nennen, unübersehbar der Klimawandel und die mit ihm verbundenen Sorgen.

Und dann gibt es da noch etwas, was sich in Deutschland und Europa spürbar ausbreitet und droht, viele Errungenschaften in Frage zu stellen: Ein kälteres, ruppigeres gesellschaftliches Klima und ein unverkennbarer Rechtsruck.

Die Bilder aus Chemnitz gehören sicher zu den Erfahrungen des Jahres 2018, die wir nicht so schnell vergessen werden. Diese Bilder stehen aber nur beispielhaft für manche vergleichbare Vorgänge, übrigens auch bei uns in Niedersachsen.

Deutschland ist nicht das einzige Land, das sich dieser Herausforderung gegenübersieht. In vielen anderen europäischen Ländern haben Rechtspopulisten inzwischen einen beträchtlichen politischen Einfluss erlangt. Das ist in osteuropäischen Ländern ebenso der Fall wie in westeuropäischen, in Südeuropa ebenso wie in Skandinavien. Überall geht es immer mehr um Aus- und Abgrenzung statt um Zusammenhalt und Zusammenarbeit.

Ein Symbol für diese Entwicklung ist der Brexit, mit dem in wenigen Wochen Großbritannien wieder eine Grenze zieht gegenüber Europa – zu unserem Schaden, aber vor allem zum Schaden der Menschen in Großbritannien.

Anrede,

was ist zu tun in einer solchen Situation? Aus Anlass von Jubiläen die Fortschritte zu preisen ist ebenso wenig ausreichend, wie den Lauf der Dinge zu beklagen.

Zunächst einmal ist vielleicht ein Wort der Selbstkritik fällig. Offenbar haben wir alle vieles, was an gesellschaftlichem Fortschritt erzielt worden ist, für zu selbstverständlich genommen. Vielleicht haben wir zu wenig darauf geachtet, immer und immer wieder für die Demokratie und eine freiheitlich-offene Gesellschaft zu werben.

Der Rechtspopulismus ist auch eine Form der Elitenkritik und diese Kritik geht weit über populistische Kreise hinaus. Darauf zu achten, die Chancen in unserer Gesellschaft einigermaßen gerecht zu verteilen und die Schere zwischen oben und unten nicht zu groß werden zu lassen, ist uns erkennbar nicht gut genug gelungen.

Und schließlich: Zu oft vermitteln wichtige Funktionsträger den Eindruck, zu viel mit sich selbst und zu wenig mit den Themen der Gesellschaft beschäftigt zu sein. Wenn Vertrauen zurückgewonnen werden soll, werden wir auch in dieser Hinsicht um eine kritische Selbstreflektion nicht herumkommen.

Anrede,

noch wichtiger ist aber vielleicht etwas anderes: Mit aller Kraft um die Zustimmung zu unserer Demokratie und für ein Engagement in unserem demokratischen System zu kämpfen.

In den Tagen nach Chemnitz hat der Hashtag „Wir sind mehr“ eine sehr weite Verbreitung gefunden. Das ist schlicht die Wahrheit. Die Zahl derjenigen Menschen, die auf Zusammenhalt und Zusammenarbeit setzt, die Abgrenzung und Ausgrenzung ablehnt, ist sehr viel größer als die Nachrichten manchmal meinen lassen. In Niedersachsen, aber sicherlich auch in den anderen Teilen Deutschlands gibt es das spürbare Bedürfnis einer großen Bevölkerungsmehrheit nach einem guten Miteinander – hier bei uns vor Ort und überall auf der Welt.

Bei aller Sorge über Populismus und rechtes Denken dürfen wir nicht vergessen, wofür tatsächlich die überragende Mehrheit unserer Bevölkerung steht: Für einen starken demokratischen Staat und auch für eine starke Zivilgesellschaft. Und genau darum muss es jetzt auch gehen – diese beiden Elemente zu stärken.

Der Staat muss seine Aufgaben glaubwürdig erfüllen, er muss vertrauenswürdig sein. Ganz sicher gibt es auch bei uns in Niedersachsen und auf der Bundesebene vieles, was wir noch besser machen können. Dennoch hat es mich gefreut, dass die Rückmeldung der Bürgerinnen und Bürger in den Umfragen für die Landespolitik in dieser Hinsicht recht positiv ist. Daran auf allen Ebenen weiterzuarbeiten, ist absolut vorrangig. Ein starker Staat überzeugt eben nicht in erster Linie durch starke Worte, sondern durch starke Taten.

Genauso notwendig ist aber eine starke Zivilgesellschaft. Wer glaubt, die Arbeit für die Demokratie sei allein die Aufgabe der demokratischen Institutionen, ist schief gewickelt. Die Demokratie braucht engagierte Bürgerinnen und Bürger, die Mitverantwortung übernehmen. Ich bin jeden Tag dankbar für die unzähligen Beispiele von ehrenamtlichem Engagement bei uns in Niedersachsen und ich möchte mich stellvertretend herzlich bedanken für das Engagement in den beiden christlichen Volkskirchen in unserem Land. Dieses bürgerschaftliche Engagement ist nach wie vor die eigentliche Grundlage für das gute Miteinander bei uns in Niedersachsen.

Ein starker Staat und eine starke Zivilgesellschaft – beides zusammen schafft dann auch tatsächlich den Zusammenhalt in unserem Land.

Anrede,

der Zusammenhalt steht national vor einer Bewährungsprobe, aber auch international.

Im Mai finden die nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Auch dabei geht es um Zusammenhalt, denn Grundgedanke der Europäischen Union ist gerade das gemeinsame Haus für die vielen europäischen Nationen.

Wie richtig dieser Gedanke ist, zeigt ein Blick auf die weltpolitische Entwicklung. Europa kann sich eben nicht mehr auf die Vereinigten Staaten verlassen und Europa kann seine Interessen nur zusammen gegenüber den USA und China vertreten. Jeder Mitgliedsstaat alleine ist dafür viel zu schwach, zusammen gibt es dagegen durchaus die Chance für eine wirkungsvolle Interessenvertretung.

So einfach und logisch dieser Gedanke ist, so wenig ist die Unterstützung für Europa in vielen europäischen Ländern selbstverständlich, auch nicht in Deutschland.

Für Europa gilt dasselbe wie für die demokratischen Institutionen in unserem Land: Wir müssen dafür eintreten, dafür werben und auch dafür kämpfen!

Die Landesregierung wird im Laufe des nächsten Jahres zahlreiche Aktivitäten entfalten, um im niedersächsischen Interesse für Europa einzutreten. Ich freue mich wirklich sehr, dass wir in dieser Haltungsfrage nicht alleine stehen. Ganz im Gegenteil: Viele Partner aus der Gesellschaft bereiten ähnliche Aktivitäten vor, die beiden christlichen Kirchen vorneweg.

Da scheint sich so etwas wie eine Parallele zu dem Bündnis „Niedersachsen packt an“ abzuzeichnen. Unter strikter Wahrung der jeweiligen Aufgaben und der jeweiligen Unabhängigkeit kann es gelingen, einen breiten gesellschaftlichen Konsens in zentralen Fragen zu formulieren.

Ich wünsche mir sehr, dass unsere gemeinsamen Anstrengungen bei uns in Niedersachsen, aber hoffentlich weit darüber hinaus großen Anklang finden werden.

Anrede,

es ist ganz sicher eine Zeit grundlegender Umbrüche, die wir derzeit erleben. Dass Umbrüche nicht nur Hoffnungen auslösen, sondern auch Sorgen und Ängste, ist nur allzu verständlich.

Eine Zeit von Umbrüchen ist auch eine Zeit der Bewährung, und zwar für uns alle. Es kommt darauf an, wie wir gemeinsam Sicherheit vermitteln und Zusammenhalt stiften. Dieser Zusammenhalt ist für mich der eigentliche Schlüssel dafür, unseren erfolgreichen Weg in Niedersachsen fortsetzen zu können.

Nach allen Erfahrungen in der Vergangenheit können wir uns selbstbewusst an diese Aufgabe machen, Zusammenhalt und Zusammenarbeit gibt es überall bei uns in Niedersachsen und wir können daran unmittelbar anknüpfen.


Anrede,

ich habe von den großen Jubiläen gesprochen, die im Jahre 2019 anstehen. Zu den kleinen Jubiläen gehört der fünfzigste Jahrestag eines Satzes, den Willy Brandt in seiner Regierungserklärung im Jahr 1969 formuliert hat. Es ist ein einfaches Bild, das für mich heute noch genauso aktuell wie damals und das Ziel aller unserer Bemühungen sehr schön beschreibt:

„Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein – nach innen und nach außen.“

Wenn wir alle gemeinsam an diesem Ziel arbeiten, werden wir es auch gemeinsam erreichen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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