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Weil fordert Modernisierung des Optionsrechts

Rede des Niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil

anlässlich

der Sitzung des Bundesrates am 23. Mai 2014 in Berlin zu TOP 12 „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes“

- Es gilt das gesprochene Wort! -

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Im Frühjahr 2014 ruft diese Feststellung allenfalls ein müdes Achselzucken hervor. Ein flüchtiger Blick in unsere Städte und immer mehr auch in unsere Dörfer genügt um zu erkennen, wie sehr die Zuwanderung der vergangenen Jahrzehnte unsere Gesellschaft verändert hat. Die unterschiedlichsten Hautfarben finden sich dort und besonders deutlich wird dies bei einem Besuch in einer Kindertagesstätte oder in einer Schule. In unserem Land leben inzwischen Millionen von Menschen mit den unterschiedlichsten Wurzeln. Allein im letzten Jahr sind es in der Summe über 400.000 Menschen gewesen, die in unser Land gekommen sind und bleiben wollen. Gerade mit dem Blick auf die demografische Entwicklung und die Bedürfnisse unserer Wirtschaft ist diese Entwicklung zu begrüßen. Heute kann niemand mehr bestreiten: Deutschland ist ein Einwanderungsland.

Das war vor anderthalb Jahrzehnten noch ganz anders. Auch damals war dauerhafte Zuwanderung in unser Land schwer zu bestreiten. Aber unser Staat hat es über mehrere Jahrzehnte vorgezogen, sich mit dieser Realität und der daraus folgenden Aufgabe der Integration nicht zu befassen, gewissermaßen die Augen davor zu verschließen. Besonders deutlich wurde dies bei einem wahren Kulturkampf um die Staatsangehörigkeit, den wir in den Jahren 1999 und 2000 erlebt haben. Der Vorschlag, künftig die doppelte Staatsangehörigkeit verstärkt zuzulassen und die deutsche Staatsangehörigkeit allen denjenigen Menschen zuzubilligen, die in Deutschland geboren worden sind, führte zu einer extrem polarisierten Diskussion, an die wir uns alle heute wahrscheinlich nicht gerne zurück erinnern. Seit damals haben sich jedenfalls immer wieder Einwanderinnen und Einwanderer gefragt, ob sie in ihrer neuen Heimat eigentlich wirklich willkommen sind.

Das Staatsangehörigkeitsgesetz 2000, mit dem mehr als mühsam ein Kompromiss gefunden wurde, ist wahrlich kein Ruhmesblatt gewesen. Kinder ausländischer Eltern müssen sich nach der Vollendung des 18. Lebensjahres entscheiden, in welchem Land sie Bürger sein wollen – in dem Land ihrer Geburt oder in dem Land ihrer Eltern. In tausenden von Fällen sind damit schwere Konflikte ausgelöst worden, bei den Betroffenen und in ihren Familien. Etwa 4.000 junge Erwachsene werden in unserem Land im Durchschnitt jährlich optionspflichtig. Zehntausenden von jungen Leuten ist diese Entscheidungslast also seitdem aufgebürdet worden.

Wir reden, wie gesagt, über Menschen, die seit ihrer Geburt in Deutschland leben, oder die große Teile ihrer Kindheit und Jugend hier verbracht haben. In meinem früheren Amt als Oberbürgermeister von Hannover habe ich häufig Einbürgerungsfeiern durchgeführt und dabei immer wieder Menschen die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen, die in Hannover geboren worden sind. Als jemand, der aus Hamburg nach Hannover zugewandert ist, habe ich mich immer wieder gefragt, wer von uns beiden hier eigentlich der Migrant ist.

Ich freue mich, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf künftig ein Großteil dieser Konflikte lösbar sein wird. Immerhin ca. 90 Prozent der Betroffenen, die sich bislang zwischen der Staatsbürgerschaft in Deutschland oder dem Herkunftsland ihrer Eltern entscheiden mussten, werden in Zukunft die doppelte Staatsangehörigkeit in Anspruch nehmen können. Die zugrunde liegenden Kriterien sind – so meine ich – sehr klar definiert und dürften auch ohne allzu großen Verwaltungsaufwand administrierbar sein. Auf dieser Grundlage, so sagen uns die Experten, werden von nun an Jahr für Jahr viele tausend junge Menschen gerne die deutsche Staatsangehörigkeit haben und sie dürfen zugleich auch Bürgerinnen oder Bürger des Landes ihrer Eltern sein.

Diese ganz praktischen, diese ganz konkreten Folgen sind für Niedersachsen Grund genug, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. In Anbetracht seiner praktischen Ergebnisse erscheint es uns nicht vertretbar, weiter bestehende Grundsatzpositionen in den Vordergrund zu stellen.

Denn natürlich bleiben offene Fragen. Da sind zunächst die Altfälle, also jene Menschen, für die diese Gesetzesänderung zu spät kommt. Sie haben bereits ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren oder ihre ausländische Staatsangehörigkeit aufgegeben. Es wäre sehr klug, würden wir diesen jungen Menschen ein deutliches Signal geben, dass sie nicht vergessen wurden. Deswegen bitte ich die Bundesregierung und den Bundestag, Regelungen zu schaffen, dass auch diese Personengruppe beide Staatsangehörigkeiten ohne großen bürokratischen Aufwand und ohne Kosten wieder annehmen kann.

Und vor allem: Warum soll die Optionspflicht eigentlich nicht insgesamt abgeschafft werden? Haben wir nicht in den letzten anderthalb Jahrzehnten alle die Erfahrung gemacht, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist? Haben wir nicht verstanden, dass Einwanderer ihre Beiträge zu unserer Gesellschaft leisten, aber auch alle Rechte haben sollen? Und lernen wir nicht aus dem Beispiel vieler anderer Länder, die aus der doppelten Staatsangehörigkeit längst kein Dogma mehr machen und damit gute Erfahrungen gesammelt haben?

Über die praktischen Fortschritte hinaus, wünsche ich mir ein klares, ein starkes Signal unseres Staates, dass wir Einwanderung als Realität in unserer Gesellschaft nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern staatlicherseits alles tun, um das Bekenntnis zu der neuen Heimat und zu unserer Gesellschaft zu fördern.

Kurzum: Es ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, der mit dem Gesetzentwurf eingeleitet wird. Es handelt sich noch nicht um den ganzen Weg, der zu gehen sein wird – im Interesse vieler betroffener Menschen und nicht weniger unserer Gesellschaft.
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