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Regierungserklärung des Ministerpräsidenten vom 22.11.2016 vor dem Niedersächsischen Landtag - Die Zukunft von Volkswagen sicherstellen

Seit dem Bestehen des Landes Niedersachsen hat der Landtag über sieben Jahrzehnte hinweg die Entwicklung von Volkswagen begleitet. Zwischen Niedersachsen und Volkswagen besteht von Anfang an eine enge und intensive Beziehung. Das war so, seitdem die britische Militärregierung Volkswagen dem jungen Land Niedersachsen überantwortet hat. Das ist so geblieben bis heute an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter für die gesamte Automobilindustrie. Über alle politischen Grenzen hinweg und zu allen Zeiten hat sich der Landtag und haben sich die verschiedenen Landesregierungen Volkswagen und den Beschäftigten in diesem Unternehmen tief verbunden gefühlt.

Jetzt stehen wir vor einem neuen Kapitel dieser Verbindung. In vielleicht einzigartiger Weise befindet sich die Automobilindustrie insgesamt vor einem Wandel. Die gesamte Industrie und auch Volkswagen müssen sich auf tiefgreifende Veränderungen einstellen. Jetzt werden die Weichen gestellt und die Grundlagen für die Zukunft von Volkswagen gelegt. Das ist keine Übertreibung, sondern eine realistische Beschreibung der Herausforderungen. Es geht um nicht mehr und um nicht weniger als um die Zukunft von Volkswagen. Die Landesregierung ist sich dieser Herausforderung sehr bewusst. Ebenso wie die anderen Beteiligten innerhalb von Volkswagen stellen wir uns dieser Herausforderung. Wir haben ein absolut vordringliches Ziel, das uns alle – Vorstand und Belegschaft und Anteilseigner – mit einander verbindet: Wir sind fest entschlossen, die Zukunft von Volkswagen zu sichern.

Volkswagen steht am Ende des Jahres 2016 vor drei unterschiedlichen Herausforderungen:

Zunächst einmal geht es um die Aufarbeitung und Bewältigung von Diesel-Gate. Über viele Jahre hinweg hat Volkswagen im Umgang mit Diesel-Abgaswerten schwere Fehler gemacht. Diese Fehler aufzuklären und sich ihren Konsequenzen zu stellen, ist für das Unternehmen ohne Alternative. Im Laufe des Jahres 2016 sind dabei deutliche Fortschritte erzielt worden, wenn ich etwa an die millionenfachen Rückrufe oder die Vereinbarungen mit den amerikanischen Behörden denke. Vieles ist aber auch noch zu tun. Die Ermittlungen innerhalb des Unternehmens und durch die Behörden dauern an. Dabei werden im Übrigen bekanntlich auch Haftungsansprüche gegen Organmitglieder geprüft.

Das ist ein schmerzhafter Prozess, dem sich Volkswagen stellen muss – auch um verloren gegangenes Vertrauen der Kunden zurück zu gewinnen. Volkswagen kann auf eine großartige Unternehmensgeschichte zurückblicken, Teil dieser Vergangenheit sind aber eben auch völlig inakzeptable Verhaltensweisen, für die das Unternehmen jetzt gerade stehen muss.

So sehr Diesel-Gate auch die aktuelle Berichterstattung über Volkswagen dominiert, so liegen die Ursachen dieses Skandals dennoch in der Vergangenheit. Die noch größeren Herausforderungen für Volkswagen liegen dagegen in der Zukunft.

Da geht es zum einen um die dringend gebotene Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Marke Volkswagen. Es führt kein Weg um die Erkenntnis herum, dass die Profitabilität der Marke Volkswagen unzureichend ist. Dabei geht es der Landesregierung selbstverständlich nicht um Traumrenditen. Gerade mit Blick auf die anstehenden Herausforderungen muss Volkswagen aber in der Lage sein, notwendige Investitionen selbst finanzieren zu können. Dafür ist eine uneingeschränkte Wettbewerbsfähigkeit zwingend geboten. Dauerhaft gute Wettbewerbsfähigkeit ist die Grundlage dafür, dass Volkswagen auch in der Zukunft erfolgreich sein kann.

Diese Zukunft – und das ist der Hauptaspekt – wird sich fundamental von der bisherigen Geschichte des Automobilbaus unterscheiden. Von Anfang an war der Verbrennungsmotor das Herzstück des Automobils. Das wird sich nach und nach, aber unabweisbar ändern. Alternative Antriebe, insbesondere die Elektromobilität, werden zunehmend in den Mittelpunkt rücken. Das ist für die ganze Industrie und folglich auch für Volkswagen ein Paradigmenwechsel.

Dazu kommt eine zweite, nicht minder große Herausforderung. Das Auto der Zukunft wird Teil des Internets sein. Es wird durch immer mehr elektronische Assistenzsysteme bis hin zum autonomen Fahren geprägt sein. Das Auto der Zukunft wird ganz neue Serviceangebote für seine Benutzer anbieten. Das Auto der Zukunft wird durch und durch digital vernetzt sein. Das alles sind grundlegend neue Bedingungen für die Automobilindustrie, die sich obendrein in dieser Hinsicht mit ganz neuen Wettbewerbern aus der IT-Wirtschaft konfrontiert sieht.

Volkswagen stellt sich entschlossen und konsequent diesem Umbruch. Mit einer neuen Strategie hat der Konzernvorstand vor einigen Monaten die dafür notwendigen Schwerpunkte definiert. Die Zukunft von Volkswagen liegt in einem konsequenten Umstieg auf die Elektromobilität und in einer konsequenten Digitalisierung – das sind Eckpfeiler dieser Strategie. VW hat sich ein Ziel gesetzt, auch in der neuen Autowelt Marktführer zu sein – sowohl bei der Elektromobilität als auch bei der vernetzten Mobilität. Damit leistet Volkswagen auch einen eigenen wichtigen Beitrag für den Klimaschutz. Dieser Aspekt verdient besondere Unterstützung!

In diesen Tagen erfolgen entscheidende Schritte, um die Zukunftsstrategie auch in die Realität umzusetzen. Am vergangenen Freitag haben Vorstand und Betriebsrat von Volkswagen einen Zukunftspakt miteinander vereinbart.

Mit dem Zukunftspakt ist der wohl größte Umbauprozess in der Unternehmensgeschichte verbunden. Das gilt auch für die niedersächsischen Standorte. Deswegen hat sich die Landesregierung von Anfang an intensiv an den Diskussionen innerhalb des Unternehmens beteiligt. Wir wissen, dass nur ein erfolgreiches Unternehmen bei uns in Niedersachsen zukunftsfähige Arbeitsplätze bereitstellen wird. Wir haben aber keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass diese erfolgreiche Zukunft von Volkswagen vor allem auch bei uns in Niedersachsen, stattfinden muss! Uns geht es um klare Zukunftsperspektiven für alle niedersächsischen Standorte.

Dabei haben wir uns in einem engen Schulterschluss mit dem Betriebsrat für die Interessen der Beschäftigten bei Volkswagen eingesetzt. Das Land Niedersachsen fühlt sich gerade auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber als Anteilseigner verpflichtet.

Dabei wird es nicht ohne Veränderungen und Einschnitte gehen. Insgesamt können nach derzeitigen Planungen – die immer wieder Anpassungen unterliegen werden – bei Volkswagen in Deutschland über die nächsten Jahre bis zu 23.000 Jobs wegfallen. Der Abbau erfolgt zum einen entlang der demografischen Kurve und durch Angebote für einen freiwilligen vorgezogenen Ruhestand zu auskömmlichen Bedingungen. Bis Ende 2025 sind betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen! Volkswagen fühlt sich unverändert seinem sozialen Anspruch verpflichtet.

Anders als bei dem Vorruhestand beruht dagegen das Auslaufen von Leiharbeitsverhältnissen nicht auf einer eigenen Entscheidung der Betroffenen. Das ist bitter für die Betroffenen und auch für uns. Deswegen erwartet die Landesregierung vom VW-Vorstand sich über die Autovision um eine neue Beschäftigungsperspektive für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu bemühen. Die Autovision muss alles daran setzen, diese Betroffenen bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz zu unterstützen.

Auf der anderen Seite werden in diesem Zeitraum insbesondere auch in Niedersachsen etwa 9.000 zukunftsfähige Arbeitsplätze aufgebaut werden – vornehmlich in der IT und in anderen Zukunftsbereichen. Die Zukunftsinvestitionen haben einen absoluten Schwerpunkt in Niedersachsen und das ist ein wichtiges Zeichen.

Was bedeutet diese Vereinbarung genau für Niedersachsen und für die niedersächsischen Standorte? Diese Frage lässt sich zum Teil konkret beantworten, in mancher Hinsicht dagegen nur in der Tendenz.

Zunächst einmal: In Niedersachsen schlägt das Herz von Volkswagen und hier sind in Deutschland mit Abstand die meisten Arbeitnehmer beschäftigt. An den sechs niedersächsischen Standorten sind es derzeit ca. 105 000 Menschen, das sind etwa 4/5 aller deutschen Arbeitsplätze. Anhand der Altersstruktur sowie der vorhandenen Arbeitsplätze können in den nächsten vier Jahren bis zu 17.500 Arbeitsplätze von einem Abbau betroffen sein. Ich betone „bis zu". Ob Arbeitsplätze in dieser Größenordnung wegfallen, ist unter anderem davon abhängig, wie viele ältere Beschäftigte freiwillig früher ausscheiden.

Aber eines ist klar: Der Verlust von Industriearbeitsplätzen in einem solchen Ausmaß ist eine sehr bittere Pille, da ist nichts zu beschönigen. Das betrifft die jeweiligen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, das betrifft aber auch den Arbeitsmarkt in den betroffenen Regionen.

Lassen Sie mich aber auch hinzufügen: Bei allem Bedauern erkennt die Landesregierung an, dass dieser Kurs notwendig ist. Ich will noch einmal betonen: Es geht jetzt darum, die Zukunft von Volkswagen insgesamt zu sichern und das muss absolut vorrangig sein.

Auch bei dem Aufbau neuer Arbeitsplätze bei Volkswagen steht Niedersachsen im Mittelpunkt, es geht um bis zu 7 500 umgewandelte oder neue Stellen. Im Saldo sprechen wir also in Niedersachsen über einen Abbau von etwa 10 000 Jobs, das entspricht etwas weniger als 10 % des Status quo.

Noch schwieriger ist eine konkrete Angabe für die einzelnen Standorte, denn wir wissen nicht, wie viele Beschäftigte an welchen Standorten vorzeitig ausscheiden werden. Präziser sind dagegen die Perspektiven der niedersächsischen Werke. Es gehört zu den großen Vorzügen des Zukunftspaktes, dass auf dieser Grundlage jedem Standort klare Aufgaben zugewiesen sind.

Von besonderem Interesse ist dabei naturgemäß Wolfsburg, denn dort befindet sich eine der weltweit größten Autofabriken. Der Zukunftspakt legt fest, dass Wolfsburg in Zukunft nicht nur ein Schwerpunkt der Produktion von Elektrofahrzeugen sein wird, sondern vor allem auch das Zentrum für die Entwicklung der Elektromobilität der gesamten Marke. In Wolfsburg wird 2020 das erste wirkliche Volumenmodell auf der Basis eines Elektromotors gefertigt werden. Ebenso ist Teil der Vereinbarung, dass sich in Wolfsburg das IT-Zentrum von Volkswagen befinden wird. Nicht nur beim Abbau, sondern auch beim Aufbau von Arbeitsplätzen steht Wolfsburg also im Mittelpunkt der Überlegungen.

Für die Landesentwicklung ist vor allem der Aufbau neuer, zukunftsgerichteter Strukturen im Osten Niedersachsens wichtig. Damit bietet sich die Chance, dort ein regionales Cluster für Elektromobilität und IT zu etablieren – eine Chance, die Volkswagen, die Region und das Land beherzt nutzen wollen.

Das gilt auch für die Werke in Braunschweig und Salzgitter. Diese Komponentenwerke werden ihr Portfolio umstellen und sich auf zukunftsfähige und profitable Module konzentrieren. Braunschweig wird das Leitwerk für Fahrwerke, Lenkungen und Batteriesysteme. Salzgitter wird gemeinsam mit Kassel verantwortlich für den Elektromotor.

In Braunschweig wird die erste Generation von Batterien für den Modularen-Elektro-Baukasten (MEB) gefertigt. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang auch, dass für Salzgitter der Probebetrieb für die künftige Batteriezellproduktion vorgesehen ist. Das ist nicht die abschließende Entscheidung über die Serienfertigung von Batteriezellen durch Volkswagen, aber dennoch ein erster wichtiger Schritt. Wir werden weiter intensiv daran arbeiten, die Voraussetzungen für eine Batteriefertigung in Niedersachsen zu schaffen.

In Emden ist derzeit die fehlende Auslastung des Werkes ein Problem. Durch ein viertes Modell wird die Vollauslastung künftig gewährleistet, das stärkt die Wirtschaftlichkeit dieses Standortes auf Dauer. Außerdem ist es gelungen, für Emden die Übernahme von 800 Leiharbeitnehmern von derzeit etwa 1.000 festzuschreiben – das ist gut für die Betroffenen und gut für die Altersstruktur der Belegschaft. Und auch in Emden stehen die Zeichen für den Umstieg auf Elektromobilität.

Für Hannover steht eine Vereinbarung bei Volkswagen Nutzfahrzeuge noch aus. Für die dort produzierten Komponenten kommt es ebenfalls zu Veränderungen wie in Braunschweig und Salzgitter.

Osnabrück ist der kleinste niedersächsische Standort und vom Zukunftsvertrag nicht betroffen. An diesem Standort besteht die seltene Fähigkeit zur Entwicklung von Fahrzeugen bis hin zur Produktion von Kleinserien – ein Profil, das für Volkswagen sicher noch sehr nützlich sein wird.

Um nicht missverstanden zu werden: Auch unter diesen Perspektiven sind Arbeitsplatzverluste zu erwarten. Aber für die niedersächsischen Werke bestehen jetzt auf der Grundlage des Zukunftspaktes klare Perspektiven, die den Beschäftigten Sicherheit geben. Darauf kommt es mir in diesem Zusammenhang besonders an.

Volkswagen hat sich dazu entschieden, den notwendigen Anpassungsprozess energisch und konsequent anzugehen. Das halte ich für zwingend notwendig und unterstütze diesen Kurs, er ist die Grundlage für eine gute Zukunft von Volkswagen. Basis des Zukunftspaktes ist aber auch ein fairer Umgang mit den Beschäftigten, deren Belange so weit wie möglich berücksichtigt werden, so wie es der Tradition bei Volkswagen entspricht. Volkswagen ist sich seiner Verantwortung gegenüber den Beschäftigten ebenso bewusst wie gegenüber den Standorten. Ich füge hinzu: Wenn alles auf den Prüfstand gestellt wird, gilt das auch für alle Teile des Unternehmens, etwa auch für die künftige Vorstandsvergütung.

Der Verlust von vielen Industriearbeitsplätzen ist schmerzlich, darum ist nicht herumzureden. Richtig ist aber auch, dass Volkswagen im Jahr 2020 in Niedersachsen immer noch deutlich mehr Beschäftigte haben wird als vor nicht allzu langer Zeit. Der Zukunftspakt eröffnet für alle unsere niedersächsischen Standorte neue Chancen. Volkswagen wird seine Investitionen an den niedersächsischen Standorten auf einem sehr hohen Niveau fortsetzen. Das ist mit der Planungsrunde der vergangenen Woche ebenfalls entschieden worden.

Dieser Kurs ist zwingend nötig. Was würde sonst passieren in 10 Jahren oder in 15, wenn wir jetzt nicht die Entscheidungen treffen? Jeder von uns kann sich die Antwort ausmalen.

Wir sind uns dabei auch der Veränderungen in der Zuliefererindustrie bewusst, die für uns in Niedersachsen seine große Bedeutung hat. Aus diesem Grund wird Wirtschaftsminister Olaf Lies Anfang Dezember mit Repräsentanten der Branche zusammentreffen. Schon die bisherigen Gespräche haben gezeigt, dass sich alle Beteiligten der anstehenden Veränderungen bewusst sind.

Volkswagen macht Ernst mit dem größten Umbauprozess in seiner Unternehmensgeschichte. Alle Beteiligten haben dabei eine große Verantwortung. Das gilt für das Management ebenso wie für die Arbeitnehmervertreter und die Anteilseigner. Ich bin dem Vorstand und Betriebsrat sehr dankbar für das Verantwortungsbewusstsein, mit dem diese weitreichenden Vereinbarungen ausgehandelt worden sind. Die Landesregierung wird diesen Kurs unterstützen aus der Überzeugung heraus, dass jetzt die Weichen für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens gestellt werden. Volkswagen macht mit dem Zukunftspakt einen großen Schritt und Niedersachsen wird davon am Ende profitieren – davon bin ich überzeugt!

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!

Presseinformationen

Artikel-Informationen

erstellt am:
22.11.2016

Ansprechpartner/in:
Pressestelle der Niedersächsischen Landesregierung

Nds. Staatskanzlei
Planckstraße 2
30169 Hannover
Tel: 0511/120-6946
Fax: 0511/120-6833

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